Tecindustry Themen Unternehmertum & Verantwortung «Die Spannungen mit der Europäischen Union müssen enden»

«Die Spannungen mit der Europäischen Union müssen enden»

Die Firma LEM aus Meyrin (Genf) ist seit 50 Jahren führend auf dem Gebiet der elektrischen Messtechnik. LEM entwickelt laufend neue Technologien, um den wandelnden Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Im Interview mit Swissmem spricht CEO Frank Rehfeld über die aktuellen Herausforderungen und seine Unternehmensstrategie. Die zunehmende Elektrifizierung der Mobilität sowie der Wirtschaft im Allgemeinen erkennt er als grosse Chance für seine Firma. Zudem bezeichnet Frank Rehfeld die Personenfreizügigkeit mit der EU als fundamental. Deshalb erachtet er einen erfolgreichen Abschluss der Bilateralen III als absolut notwendig.

Interview: Philippe D. Monnier

Herr Rehfeld, wo liegen die grössten Chancen für die Zukunft von LEM?

Die Bereiche Energieeffizienz, erneuerbare Energiequellen und E-Mobilität gewinnen zunehmend an Bedeutung. Für LEM bieten sich hier gute Geschäftschancen. Um diese zu nutzen, setzen wir auf mehrere entscheidenden Vorteile: unsere Kundennähe, die fundierte Kenntnis der Kundenanforderungen und unsere Innovationskraft. Ein weiterer grosser Pluspunkt ist unsere internationale Präsenz – vor allem in Peking, unserem wichtigsten Produktionsstandort, und in Penang in Malaysia, wo wir erst kürzlich unser zweites Produktionswerk in Asien eröffnet haben. Als relativ kleines Unternehmen können wir zudem sehr flexibel reagieren.

Und was sind die grössten Herausforderungen für Ihr Unternehmen?

Mittelfristig sicher die zunehmende globale Instabilität, die durch geopolitische Unwägbarkeiten weiter verschärft wird. Kurzfristig betrachtet dürfte das Jahr 2024 nicht leicht werden, da die Kunden viele unserer Produkte noch an Lager haben. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Kompetenzzuwachs in China, unter anderem bei unseren chinesischen Wettbewerbern. Entgegen einer weit verbreiteten Wahrnehmung ist China während der Pandemie beträchtlich erstarkt. Ich denke, dass der Westen gegenüber Ländern wie China weniger «belehrend» auftreten und sich nicht für überlegen halten sollte.

Wer sind aktuell ihre grössten Wettbewerber?

Als ich 2016 zu LEM kam, waren unsere grössten Wettbewerber Spezialhersteller von Elektronikkomponenten wie Tamura und Koshin in Japan oder Vacuumschmelze in Deutschland. Infolge der zunehmenden Miniaturisierung sind unsere wichtigsten Konkurrenten inzwischen Halbleiterhersteller wie Texas Instruments oder Infineon. Diese Firmen sind allerdings für uns nicht nur Konkurrenten, sondern auch Kunden oder Geschäftspartner.

LEM stellt innovative und qualitativ hochwertige Lösungen für die Messung elektrischer Parameter her.

Das Unternehmen beschäftigt rund 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 17 Ländern.

Die Kernprodukte – Strom- und Spannungswandler – werden in einer Vielzahl von Anwendungen in den Bereichen Antriebe und Schweissen, erneuerbare Energien, Stromversorgungen, Traktion, Hochpräzision, konventionelle und umweltfreundliche Fahrzeuge eingesetzt.

Ist es für LEM schwierig, Fachpersonal zu gewinnen, insbesondere am Standort Genf?

Genf ist bekannt für Parfum, Uhren und seine Finanzindustrie, nicht so sehr für unser Geschäftsfeld – innovative Elektronikbauteile. Für uns wäre es vermutlich leichter, Engineering-Talente zu gewinnen, wenn wir unseren Hauptsitz in Zürich oder München hätten. Allerdings haben wir mit der Eröffnung unseres neuen Hauptsitzes im April 2022 entschieden, unsere Aktivitäten in Genf stärker auf strategische Themen und die Entwicklung unserer globalen Standards auszurichten. Für diese Aufgaben gibt es ausreichend Talente vor Ort. Das bedeutet auch, dass wir seit der Errichtung unseres neuen Hauptsitzes operative Entscheidungen eher dort treffen, wo unsere Kunden sind. Folglich benötigen wir Spezialisten, beispielsweise im Automobilsegment, vor allem ausserhalb von Genf.

Wo sehen Sie LEM in zehn Jahren?

Unser Ziel ist, die Präsenz von LEM in allen unseren Märkten zu verstärken und die bevorzugte Anbieterin in unseren fünf Anwendungsbereichen (Automation, Automobil, erneuerbare Energien, Antriebe und Energieverteilung) zu werden. In anderen Worten: Wir wollen unseren Kunden auch in Zukunft helfen, ihren direkten oder indirekten CO2-Fussabdruck zu verringern. Um unsere Stellung zu halten, müssen wir etwas stärker als unser Marktumfeld wachsen. Das bedeutet, dass wir unseren Jahresumsatz mehr als verdoppeln und die Marke von einer Milliarde Franken übertreffen müssten.

Welchen Nutzen haben die rund 30 Freihandelsabkommen, die von der Schweiz abgeschlossen wurden?

Ich denke, dass alles in allem die Senkung der Zölle und die tiefere Besteuerung der internationalen Dividenden eine wichtige Rolle spielen, da sie die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern fördern und deren Zusammenarbeit bei der Lösung der globalen Probleme erleichtern. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass die Freihandelsverträge und die Doppelbesteuerungsabkommen für die Schweiz von Vorteil sind.

Und welchen Nutzen haben sie für LEM?

Da LEM den Grossteil ihrer Produktion ins Ausland verlagert hat, ist unser Exportvolumen eher klein. Die Freihandelsabkommen, die sich vor allem auf die Verringerung der Zölle richten, haben deshalb für unsere Firma – im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen der Tech-Industrie – keine grosse Bedeutung.

Die Personenfreizügigkeit ist für unser Unternehmen fundamental, denn 70% unserer Mitarbeitenden in Genf kommen aus dem benachbarten Frankreich.

Frank Rehfeld, CEO LEM

Welche Folgen hat die ausstehende institutionelle Lösung mit der EU für das Europageschäft von LEM? Und was erwarten Sie von den Bilateralen III?

Oberste Priorität hat für uns die Sicherheit der Energieversorgung. In diesem Bereich müssen wir ein tragfähiges Stromabkommen mit der Europäischen Union schliessen. Dieses Thema ist für uns so wichtig, dass wir an unserem Hauptsitz in Genf eine eigene Stromversorgung installiert haben, damit wir Produktionsunterbrüche unter allen Umständen vermeiden können.

Wie steht es mit der Personenfreizügigkeit und anderen für LEM wichtigen Themen?

Die Personenfreizügigkeit ist für unser Unternehmen fundamental, denn 70% unserer Mitarbeitenden in Genf kommen aus dem benachbarten Frankreich. Mir fallen auch andere Probleme ein: etwa der Ausschluss aus Horizon, dem europäischen Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, auch wenn wir davon nur indirekt betroffen sind. Die Spannungen mit Europäischen Union müssen enden. Deshalb halte ich Abkommen, von denen beide Seiten profitieren, für absolut notwendig.

Kurzporträt Frank Rehfeld, CEO (Generaldirektor) von LEM seit April 2018.

Vorherige Positionen:

  • 2016–2018, Senior Vice-President Industry, LEM Gruppe
  • 2009–2015, Vice-President Drives, Brose China Co.
  • 2006–2009, Managing Director, Hella Shanghai Electronics Co.
  • 2004–2006, Director Body & Chassis Electronics China, Siemens VDO China
  • 1996–2004, Director R&D Body & Chassis Electronics , Siemens VDO Deutschland

Ausbildung:

1991-1995: Diplom (Elektroingenieurwesen), Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Kurzporträt LEM

LEM ist Marktführer bei der Bereitstellung innovativer und qualitativ hochwertiger Lösungen für die Messung elektrischer Parameter. Die Kernprodukte – Strom- und Spannungswandler – werden in einer Vielzahl von Anwendungen in den Bereichen Antriebe und Schweissen, erneuerbare Energien, Stromversorgungen, Traktion, Hochpräzision, konventionelle und umweltfreundliche Fahrzeuge eingesetzt.

Das Unternehmen beschäftigt rund 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 17 Ländern. Es erreicht einen konsolidierten Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Schweizer Franken. LEM verfügt über Produktionsstätten in Peking (China), Genf (Schweiz), Sofia (Bulgarien), Tokio (Japan) und Penang (Malaysia). Mit regionalen Verkaufsbüros in der Nähe der Kundenstandorte ist das Unternehmen in der Lage, einen nahtlosen Service rund um den Globus anzubieten. Der Hauptsitz ist in Genf.

 

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Letzte Aktualisierung: 18.04.2024