Tecindustry Themen Unternehmertum & Verantwortung «Wir verwandeln Abfall in wertvolle Ressourcen»

«Wir verwandeln Abfall in wertvolle Ressourcen»

Das in Zürich ansässige Unternehmen Kanadevia Inova (ehemals Hitachi Zosen Inova) hat Infrastrukturprojekte im Bereich Abfallverwertung auf der ganzen Welt umgesetzt. Im Interview mit Swissmem geht CEO Bruno-Frédéric Baudouin auf sein Geschäftsmodell, den Einsatz von künstlicher Intelligenz und sein Personalmanagement ein.

Interview: Philippe D. Monnier

Herr Baudouin, Kanadevia Inova ist auf Infrastrukturen für die Abfallverwertung spezialisiert. Welchen Mehrwert bieten diese Infrastrukturen hauptsächlich?

Unsere Infrastrukturen ermöglichen es uns in erster Linie, den Entsorgungsbedarf für die in menschlichen Gemeinschaften erzeugten Abfälle zu decken. Dieser Service public stellt eine Einnahmequelle für die Betreiber dar. Darüber hinaus wandeln wir Abfall in wertvolle Ressourcen wie Energie, Gas, Metalle, Salz oder Aggregate um.

Welche Prozesse setzen Sie dafür ein?  

Hauptsächlich zwei Prozesse: Erstens die thermische Behandlung, bei der insbesondere feste Siedlungsabfälle in Energie – Strom oder Wärme – umgewandelt und vor allem Metalle zurückgewonnen werden können. Dieser Prozess erlaubt es, auf herkömmliche Deponien zu verzichten, die nicht nur sehr viel Land beanspruchen, sondern auch potenziell umweltschädlich sind, namentlich für das Grundwasser. Zudem emittieren Deponien viel Methangas, das für die Atmosphäre äusserst schädlich ist. Dank der thermischen Behandlung kann diese Belastung um mehr als 85% reduziert werden.  

Was ist mit dem zweiten Prozess? 

Dabei handelt es sich um die biologische Behandlung, die häufig in kleinen, dezentralen Anlagen erfolgt. Sie ermöglicht die Umwandlung von organischen Abfällen, die vor allem aus der Landwirtschaft oder aus der Lebensmittelindustrie stammen, in erneuerbares Methangas. Sie ersetzt damit Kohlenwasserstoffressourcen, die heute fast ausschliesslich fossilen Ursprungs sind.

Tatsächlich weisen heute immer mehr Stimmen aus der Wissenschaft darauf hin, dass die Emissionen von Deponien erheblich unterschätzt wurden.

Bruno-Frédéric Baudouin, CEO Kanadevia Inova

Zurück zu den Deponien. Sind ihre Methanemissionen wirklich erheblich? 

Definitiv. Nehmen wir zum Beispiel eine herkömmliche Deponie in einer Stadt mit drei Millionen Einwohnern in einem Entwicklungsland: Die Treibhausgasemissionen einer solchen Deponie betragen typischerweise 20% der Treibhausgasemissionen der Schweiz. Und das, obwohl unsere eigenen Emissionen auch aus unserer Industrie, unserem Verkehr, unserer Landwirtschaft und unseren individuellen Emissionen als Bürgerinnen und Bürger resultieren! 

Tatsächlich weisen heute immer mehr Stimmen aus der Wissenschaft darauf hin, dass die Emissionen von Deponien erheblich unterschätzt wurden. In der Praxis könnte eine solche Unterschätzung allein schon einen signifikanten Teil der Diskrepanz zwischen dem theoretischen Pfad des Temperaturanstiegs an der Erdoberfläche und dem tatsächlich beobachteten Pfad erklären. 

Was sind Ihre grössten Chancen und Herausforderungen? 

In vielen europäischen Ländern, vor allem in Nordeuropa, wird der Abfall grossenteils bereits in Infrastrukturen wie den von uns entwickelten behandelt. So ist es zum Beispiel unvorstellbar, dass in einem Land wie der Schweiz eine neue Deponie eröffnet wird.  

In Ländern, die für solche Umweltthemen wenig sensibilisiert sind, sieht das aber ganz anders aus. So oder so bieten sich uns hier grosse Chancen. Um sie jedoch zu verwirklichen, ist es wichtig, immer wettbewerbsfähigere Lösungen anzubieten. Daher arbeiten wir ständig daran, unsere Infrastruktur erschwinglicher zu machen. So ist es etwa in Europa akzeptabel, zwischen 100 und 150 Euro für die Verwertung einer Tonne Abfall zu bezahlen. In Entwicklungsländern darf eine solche Dienstleistung hingegen nicht mehr als 30 bis 50 Euro, manchmal gar nur 20 Euro, kosten. Sonst gilt sie als unbezahlbar und die Deponie wird bevorzugt.   

Sind Ihre Aktivitäten stark von der öffentlichen Politik abhängig, z. B. in Form von Subventionen?  

Unsere Lösungen werden im Allgemeinen nicht subventioniert, und wir unternehmen auf allen Stufen der Wertschöpfungskette – von der Entwicklung bis zum Betrieb – beträchtliche Anstrengungen, damit sie für unsere privaten und öffentlichen Kunden von sich aus attraktiv sind. In Ländern, die noch nicht über eine solche Infrastruktur verfügen, muss hingegen der erforderliche gesetzliche Rahmen geschaffen werden. Bei solchen Themen sind wir eindeutig von der Politik abhängig.   

Wer sind Ihre Hauptkonkurrenten und worin unterscheiden Sie sich in Bezug auf die Konkurrenz? 

Wir äussern uns grundsätzlich nicht zu unseren Konkurrenten. Doch wir heben uns durch unseren ganzheitlichen Ansatz von der Konkurrenz ab, der potenziell die gesamte Wertschöpfungskette abdeckt: von der Entwicklung über die Finanzierung, das Eigentum, die Planung, den Bau, den Betrieb, die Wartung und die Sanierung bis hin zum Rückbau.  

Welches sind Ihre geografischen Schlüsselmärkte?  

Traditionell ist unser Hauptmarkt Europa. Dennoch verzeichnen wir bei unserem Geschäft im Nahen Osten ein rasches Wachstum. Und auch in den USA sowie in einigen Regionen Afrikas oder Asiens bieten sich uns grosse Chancen. China hingegen ist bereits weitgehend abgedeckt, nicht zuletzt dank der Arbeit unserer Lizenznehmer. Überraschenderweise verfügt China in unserem Tätigkeitsbereich über eine weitaus grössere Kapazität zur thermischen Abfallbehandlung als viele Industrieländer, darunter die USA, die immer noch Deponien bevorzugen.  

Seit 2010 gehören Sie zum japanischen Konzern Kanadevia Corporation (ehemals Hitachi Zosen Corporation). Welche Synergien bietet eine solche Konstellation?  

Ein wesentlicher Teil der Geschäftstätigkeit der Kanadevia Corporation in Japan ähnelt unserer Tätigkeit. Dies erlaubt es uns, auf verschiedenen Ebenen zusammenzuarbeiten – hauptsächlich in den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie Projektfinanzierung. Unsere Muttergesellschaft ist tatsächlich eng mit dem japanischen Export-Ökosystem verzahnt, das sich auf zahlreiche öffentliche und halböffentliche Institutionen stützt, die bei der Unterstützung für die Entwicklung städtischer Infrastrukturen führend sind.  

Darüber hinaus profitieren wir selbstverständlich von der äusserst soliden Bilanz unserer Muttergesellschaft, die an der Tokioter Börse kotiert und Teil des Nikkei-Index ist. Bei unseren Infrastrukturprojekten handelt es sich im Allgemeinen um Investitionen zwischen 500 Millionen und über einer Milliarde US-Dollar. Daher können unsere Kunden sicher sein, dass wir bei einem bestimmten Projekt selbst bei finanziellen oder technischen Schwierigkeiten auf einer soliden Grundlage aufbauen und ihr Projekt zu Ende führen können.

Wir sehen KI als eine sehr reale Möglichkeit, die Betriebskosten und wohl auch irgendwann die Kosten für den Bau unserer Infrastruktur zu senken.

Bruno-Frédéric Baudouin, CEO Kanadevia Inova

Wie wichtig ist künstliche Intelligenz (KI) für Kanadevia Inova? 

Wir sehen KI als eine sehr reale Möglichkeit, die Betriebskosten und wohl auch irgendwann die Kosten für den Bau unserer Infrastruktur zu senken. Wir haben bereits einige digitale Lösungen, die auf maschinellem Lernen mit KI-Funktionen basieren, dank denen wir z.B. stabilere technische Leistungen erzielen. Zudem verfügen wir über ein Langzeitprojekt zur Integration von KI in unsere bestehenden Systeme und Prozesse, um unsere Anlagen immer autonomer zu machen.  

In unseren Augen ist KI eine äusserst vielversprechende Technologie und wir hoffen, auf ihr aufbauen zu können, um immer wirtschaftlichere Lösungen zu entwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass das Schweizer Ökosystem – sowohl in Bezug auf die Ausbildung als auch punkto Attraktivität – ideal ist, damit wir diese neuen Perspektiven entwickeln können.  

Wo finden Sie die Talente, die Sie brauchen, und was halten Sie von der Ausbildung in der Schweiz?

Für ein Unternehmen wie das unsere bietet die Schweiz ein fantastisches Umfeld und hervorragende Ausbildungsmöglichkeiten. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die Eidgenössischen Technischen Hochschulen, die Universitäten, die Fachhochschulen und das System der Berufslehre. Wir finden viele Talente, die in der Schweiz geboren und/oder ausgebildet wurden. Darüber hinaus ist unser Land so attraktiv, dass es oft recht einfach ist, ausländische Talente anzuziehen.  

Momentan beschäftigen wir in Zürich rund 300 Ingenieurinnen und Ingenieure, von denen mehr als die Hälfte ihre Ausbildung an der ETH Zürich oder an der ETH Lausanne (EPFL) absolviert hat. Das ist sehr wichtig. Denn neben der Durchführung unserer Projekte, deren Qualitätsanspruch weithin anerkannt ist, ist es für uns massgeblich, dass wir mit der neuesten Technologie Schritt halten können.

Nach welchen Kriterien stellen Sie Mitarbeitende ein oder fördern Sie sie?

Wir sind sehr schnell gewachsen: Innert sechs Jahren ist unser Umsatz von 350 Millionen auf 1,4 Milliarden Schweizer Franken gestiegen. Unsere Belegschaft hat sich von 600 Mitarbeitenden in drei Ländern auf über 3000 erhöht, die in über 15 Ländern tätig sind. In diesem starken Wachstumsumfeld ist es entscheidend, Menschen einzustellen und zu fördern, die in der Lage sind, mit unserem Unternehmen zu wachsen. Wir brauchen heute die Kader, die morgen Teams leiten werden, die fünf-, sechs- oder vielleicht achttausend Mitarbeitende umfassen werden. Es ist für uns auch essenziell, das von uns aufgebaute Fachwissen zu erhalten. Eines unserer Ziele besteht darin, die Fluktuation unserer Mitarbeitenden möglichst gering zu halten.

Wir begeistern uns für die Herausforderungen der Dekarbonisierung, der Zirkularität und der Versorgungssicherheit unserer Gesellschaften.

Bruno-Frédéric Baudouin, CEO Kanadevia Inova

Was machen Sie, um Ihr Unternehmen für Ihre Mitarbeitenden attraktiv zu machen?  

Dafür tun wir sehr viel. Wir haben mehrere Initiativen lanciert, angefangen mit einem neuen Ansatz für das Leistungsmanagement namens «Strive & Grow», der den regelmässigen Austausch zwischen unseren Führungskräften und unseren Mitarbeitenden zu Karriere- und Entwicklungsthemen fördern soll. Wir fangen zudem an, die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden am Arbeitsplatz regelmässiger und systematischer zu erheben. So können wir ein Umfeld schaffen, das ihre Erwartungen besser erfüllt und gleichzeitig höhere Ansprüche fördert, sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene. Das ermöglich uns, im Dienste unserer Kunden und unserer Mission zu einer Zukunft beizutragen, in der der kleinste Abfall zu einer Ressource wird. 

Es ist uns eine Herzensangelegenheit, den Gemeinschaften, in denen wir leben, zu dienen. Wir begeistern uns für die Herausforderungen der Dekarbonisierung, der Zirkularität und der Versorgungssicherheit unserer Gesellschaften. Alles grundlegende Themen, für die wir Lösungen anbieten können. Wir wollen, dass unsere Mitarbeitenden diesen Ehrgeiz und diese Leidenschaft teilen und uns dabei helfen, diese Herausforderungen im Dienste zukünftiger Generationen zu bewältigen!

Persönliches zu Bruno-Frédéric Baudouin

Woran denken Sie als Erstes, wenn Sie morgens aufwachen? Oft lese ich zuerst die Tagespresse, ein wichtiger Schritt, um meinen Tag gut zu beginnen. 

Was war Ihre grösste Freude als Führungskraft? Ich freue mich jedes Mal, wenn unsere Träume und Ambitionen Realität werden. 

Was war Ihre grösste Frustration als Führungskraft? Als Offizier der französischen Armee habe ich an einem 101-Kilometer-Marsch teilgenommen. Wir sind mit 130 Personen losgelaufen, die Ziellinie überquerten noch rund 15, wovon 9 den Marsch nach 20 Stunden als Gruppe beendeten. Mit der Zeit habe ich diesen sportlichen Erfolg nach und nach als echtes Managementversagen wahrgenommen, aber er diente mir auch als aussergewöhnliche Inspirationsquelle.  

Was tun Sie, um sich zu entspannen? Laufen. Mit meiner Frau gehe ich in die Oper und ins Theater. Und zudem renoviere ich eine Villa in der Normandie.   

Was würden Sie einem jungen Talent gerne mit auf den Weg geben? Die Leidenschaft, Projekte im Dienste unserer Gesellschaften zu schaffen und umzusetzen. 

Steckbrief von Bruno-Frédéric Baudouin

  • 2018 Kanadevia Inova: CEO seit 2018. 
  • 1995–2017: diverse Führungspositionen bei GE Power, Alstom Power und Saipem.  
  • Ausbildung: MBA, INSEAD; Master of Science der École Polytechnique und der École Nationale Supérieure du Pétrole et des Moteurs

Kanadevia Inova in Zahlen

  • Über 3000 Mitarbeitende in rund 15 Ländern
  • Über 90 Jahre Erfahrung und über 1600 Projekte weltweit
  • Tochterunternehmen der Kanadevia Corporation (Japan) 

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Letzte Aktualisierung: 03.12.2024