Text: Alena Sibrava
Herr Richter, wie sind Sie dazu gekommen, Windräder zu bauen?
Patrick Richter: Mein Schwiegervater – ein pensionierter Maschinenbauingenieur – hatte in seinem Garten eine Landschaft mit Steinen, kleinen Seen und Wasserläufen gebaut, damit meine Kinder spielen konnten. Das Wasser wurde in einem Becken aufgefangen und mittels einer elektrischen Pumpe zurück in den Kreislauf gebracht. Irgendwann kam ihm die Idee, die Landschaft autark zu betreiben. Da es ausreichend Wind hatte, der von allen Richtungen wehte, entschied er sich für ein vertikales Windrad. Solche Windräder gibt es schon lange. Die Idee war insofern nicht neu, aber die Ausführung.
Nämlich?
Patrick Richter: Die Rotorblätter bewegten sich mit dem Wind. Das fand ich spannend und dachte, das müsse man genauer untersuchen. Durch das Fliegen wusste ich, dass, wenn man einen Flügel anstellt, ein Auftrieb entsteht, der das Flugzeug halten kann. Ich überlegte mir, wie man diesen Effekt nutzen könnte und sah grosses Potenzial.
Wie ging es weiter?
Patrick Richter: Mein Schwiegervater begann Modelle zu bauen. Wir spielten gemeinsam an der Idee herum, die Rotorblätter nach dem Wind auszurichten, bauten behelfsmässige Windkanäle und verglichen verschiedene Varianten miteinander. Das Vorgehen war nicht sehr wissenschaftlich aber wir konnten das Verhalten der Modelle studieren und sahen ihre Vor- und Nachteile. Wir fragten uns, ob sich unsere Erkenntnisse auch auf grössere Dimensionen übertragen liessen und so bauten wir in unserer Freizeit bei einem befreundeten Zimmermann in seiner Fabrik ein grösseres Modell und testeten es schliesslich bei RUAG in Emmen. Wie gesagt, waren wir weit entfernt von einem systematischen Vorgehen und so waren denn auch die Ergebnisse nicht eindeutig. Wir wussten nie mit Sicherheit, ob sich der Aufwand, den wir betrieben, wirklich lohnte oder nicht.
Und trotzdem haben Sie sich entschieden, eine Firma zu gründen?
Patrick Richter: Irgendwann kam der Zeitpunkt, da haben wir uns gesagt, entweder wir investieren Zeit und schenken dem Projekt unsere volle Aufmerksamkeit oder wir legen es ad acta. Das konnte ich nicht. Die Vision war da und liess mich nicht mehr los. Es gab so Vieles, das ich wissen wollte. Ich sah, dass das Projekt neue Einsatzmöglichkeiten eröffnen würde und wollte dem unbedingt nachgehen. So habe ich mich entschieden, sagte: «Also gut, ich mach’s», verkaufte die Anteile meiner IT-Firma, die ich mit Kollegen zusammen aufgebaut hatte und investierte den Erlös in ein neues Start-Up. Rückblickend muss ich sagen, dass ich sehr viel Glück gehabt hatte.
In welchem Sinn?
Patrick Richter: Was mich damals antrieb, war der Gedanke, etwas zu tun, dass noch niemand vor mir getan hatte. Ich wollte schon immer ein Pionier sein. Ich sah nur die Idee und fragte mich wie man sie skalieren könnte. Dabei habe ich nichts vom Energiemarkt verstanden; musste mich zuerst einlesen, schauen, was es für Player auf dem Markt gibt und mich mit der traditionellen Windindustrie vertraut machen. Von Aerodynamik verstand ich durch das Fliegen ein bisschen etwas, aber nie so viel wie ein Strömungsingenieur, der die Thematik von Grund auf versteht. Es gab Leute, die sagten: «Richter, du spinnst. Das, was ihr macht, machen sonst Grosskonzerne wie Siemens oder General Electrics.» Diese Firmen investieren 80 bis 100 Millionen und setzen ein Team von 40 Personen darauf an. Als Start-Up so ein Projekt zu stemmen, ist eigentlich hirnrissig.
Seit der Firmengründung sind 10 Jahre vergangen. Haben Sie nie daran gedacht aufzuhören?
Patrick Richter: Ich bin nicht der Typ, der schnell aufgibt. Wenn ich etwas anfange, kann ich ziemlich hartnäckig und stur sein, um es zu Ende zu führen. Aber ich muss schon sagen, dass mich die letzten 10 Jahre meines Lebens viel Kraft gekostet haben. Es gibt viele Skeptiker und es werden einem einige Steine in den Weg gelegt. Mein anfänglicher Enthusiasmus wurde zum Teil massiv gedämpft und es gab durchaus Momente, da hätte ich am liebsten alles hingeschmissen. Aber hin und wieder – und das ist das Schöne daran – kommt zum Glück auch jemand, der sagt: «Tolle Idee, da machen wir mit.»
Was waren rückblickend Ihre Highlights?
Patrick Richter: Genau solche Momente. Und als wir den ersten Mock-Up unseres Rotorblatts fertiggestellt hatten und er vor uns lag in seiner vollen Grösse. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nach 20 Jahren der IT-Branche den Rücken kehrte und mich für die Industrie entschied: Jetzt mache ich etwas, das man anfassen kann. Wenn mich in meinem Büro die Sorgen um die Finanzierung plagten, reichte oft ein kurzer Rundgang durch die Fabrikation, um wieder neuen Mut zu schöpfen. Da sah ich dann den Teststand mit unserer Kerntechnologie, dem Motor zur Echtzeit-Rotorblattsteuerung, sah die Formen und Werkzeuge, die wir gebaut hatten, um das alles zu fabrizieren und es wurde mir wieder bewusst, wie viel wir schon erreicht hatten. Es musste irgendwie weitergehen.
Sie planen für dieses Jahr den Markteintritt. Perfektes Timing?
Patrick Richter: Ja, das kann man so sagen. Vor anderthalb Jahren wären wir noch zu früh gewesen, da kannte noch niemand Greta. Aber nicht nur die verstärkte Klima-Awareness der Bevölkerung hilft uns, auch der Strommarkt hat sich zu unseren Gunsten verändert. Der Trend geht immer mehr in Richtung Dezentralisierung. Das heisst, Strom wird wieder mehr regional produziert, wie es in den Anfängen der Elektrifizierung vor 150 Jahren der Fall war. Das Textilwerk war an einen Fluss gebaut, damit es einen Generator antreiben konnte. Die Vorteile unserer Technologie kommen genau da zu tragen. Wir wollen in absehbarer Zeit keine Windparks bauen, sondern lokal für Industrien, Gemeinden und Communities – im Verbund mit anderen erneuerbaren Energien – die Stromversorgung sicherstellen.
Was sind die Vorteile Ihrer Technologie?
Patrick Richter: Konventionelle Windanlagen haben mit rund 100 Dezibel einen hohen Schallleistungspegel. Die Flügelspitzen der Rotoren drehen im Schnitt in einer Geschwindigkeit von 300 km/h. Das erzeugt laute Geräusche so laut wie eine Kreissäge. Je nachdem woher der Wind kommt und wo die Siedlung liegt, sind die Lärmemissionen für die Bevölkerung beträchtlich. Unsere Turbinen drehen mit maximal 100 km/h und sind dadurch viel leiser. Der Schallleistungspegel liegt bei ca. 85 Dezibel und ist damit für besiedelte Gebiete bestens geeignet, da in 100 m Distanz kaum mehr messbar. Ein anderer Aspekt sind die Vögel. Bei den konventionellen Windturbinen sterben Vögel, weil sie vom Rotorblatt erschlagen werden. Sie schauen im Flug geradeaus oder nach unten auf die Beutetiere und sehen die Gefahr nicht kommen. Bei unseren Turbinen sind die Rotorblätter konstant auf gleicher Höhe und damit für die Vögel gut sichtbar.
Warum werden überhaupt noch konventionelle Windturbinen gebaut?
Patrick Richter: Herkömmliche Windturbinen sind noch grösser als unsere und können dadurch mehr Strom erzeugen. Das soll nicht heissen, dass unsere Turbinen klein sind. Es sind ebenfalls Grosswindanlagen. Unsere kleinste Turbine hat ungefähr die Ausmasse des Prime Towers in Zürich. Sie ist 105 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 32 Metern. Mit dieser Anlage ist es möglich kommerziell Strom zu produzieren. Aber die heutigen, herkömmlichen Anlagen sind noch 3-4 Mal grösser. In einem Windpark mit 20-50 Turbinen erreicht man so die Leistung eines Kraftwerks. Letztlich ist es keine Frage des Entweder-Oders. Es braucht beide Arten von Windturbinen. Ihre Anwendungsgebiete unterscheiden sich, so dass sie nicht in Konkurrenz stehen.
Was ist das Innovative an Ihrer Technologie gegenüber bisherigen vertikalen Windrädern?
Patrick Richter: Unsere Turbinen drehen viel langsamer, ohne dass die Strömung an den Rotorblättern abreisst. Das gelingt uns, indem wir die Rotorblätter in Echtzeit dem Wind ausrichten. Das Rotorblatt weiss aufgrund einer eingebauten Sensorik und intelligenten Software, ob es optimal steht. Wenn das nicht der Fall ist und die Strömung abzureissen droht, korrigiert es seinen Anstellwinkel. Als uns dieser Schritt gelang, wussten wir, daraus lässt sich ein marktfähiges Produkt machen: Bei tieferen Drehzahlen wirken weniger Zentrifugalkräfte und es braucht keine massiven Konstruktionen, um die Rotorblätter zu halten. Das führt dazu, dass weniger Luftwiderstand vorhanden ist, was sich positiv auf den Wirkungsgrad auswirkt.
Was motiviert ihre Mitarbeiter für Agile Wind Power zu arbeiten?
Patrick Richter: Ich denke, es ist eine Kombination zwischen der technischen Herausforderung und dem Wunsch etwas Sinnvolles zu tun. Wer bei uns anfängt, weiss, es ist riskant bei uns zu arbeiten – wir wissen nie, wie weit das Geld reicht. Und trotzdem sind unsere Mitarbeitenden mit grossem Enthusiasmus dabei, weil sie etwas Sinnvolles machen wollen und sie die Herausforderung reizt.
Und was treibt Sie an?
Patrick Richter: Einerseits der unternehmerische Aspekt: etwas entwickeln können, das noch niemand vor mir gemacht hat und wofür es eine Nachfrage gibt. Andererseits die Technik: eine coole, geniale Lösung finden, die überzeugt. Früher dachte ich immer, ich sei durch und durch Techniker. Inzwischen weiss ich aber, dass das zu kurz greift. Am besten bin ich, wenn ich mit Menschen arbeite. Was mir Freude macht, ist ein Team zu führen, unterschiedliche Charaktere zusammenzubringen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Und wenn dann noch ein Produkt daraus entsteht, das innovativ ist und der Gesellschaft nützt, ist es perfekt.
Zur Person
Patrick Richter (46) hat eine Elektroniker-Lehre im Bereich Software-Entwicklung bei Studer Revox absolviert und anschliessend Wirtschaftsinformatik studiert. Danach hatte er die Möglichkeit eine IT-Firma mit Fokus auf Software-Entwicklung zu übernehmen und diese unter dem Namen Uptime Services neu aufzubauen.
Nach 7 Jahren erfolgreichem Unternehmertum gründete er das Start-Up Agile Wind Power mit Sitz in Dübendorf (ZH). Nach 10 Jahren Produktentwicklung steht das Unternehmen jetzt kurz vor dem Markteintritt. Die Inbetriebnahme der ersten Anlage ist für den 20. Juli 2020 in Grevenbroich bei Düsseldorf (D) geplant.