Was hat Sie auf den Weg zu einem technischen Beruf gebracht?
Melanie Le Normand: Ich hatte schon immer einen sehr pragmatischen Geist. Als ich mich für einen Weg entscheiden musste, war ziemlich klar, dass ich in ein technisches Umfeld gehen würde, um einen Teil der Welt, in der ich lebte, zu verstehen, zu experimentieren und zu quantifizieren. Mit achtzehn Jahren wollte ich entweder das menschliche Gehirn studieren, etwa in den Neurowissenschaften oder der Psychologie, oder die Welt verstehen, also Physik oder Ingenieurwesen studieren. Als ich Universitäten auf der ganzen Welt besuchte, fühlte ich mich aufgrund der Forschung und der Entwicklung, die ich an der EPFL sah, wie eine Fünfjährige in einem Süsswarenladen. Ich wusste, dass ich hier studieren musste. Die Weltraumtechnologie hat mich dann gefesselt. Über die Welt hinauszugehen, faszinierte mich.
Gab es Ereignisse, die Sie besonders beeinflusst haben?
Es gab einen entscheidenden Moment zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn, bei dem mir klar wurde, dass ich in der Industrie arbeiten wollte. Als ich bei CNES, der französischen Weltraumbehörde, anfing, nachdem ich im Jahr zuvor im industriellen Umfeld von RUAG Space (jetzt Beyond Gravity) in Zürich gearbeitet hatte, vermisste ich die industrielle Produktion sehr. In der Industrie war ich Teil einer aufregenden Umgebung gewesen, in der Raketenteile produziert wurden. Man konnte einfach in die Werkstatt hinuntergehen und quasi mit ihnen spielen. So wollte ich arbeiten!
Hatten Sie Vorbilder?
Da ich mit einer dänischen Mutter, einem französischen Vater, einem amerikanischen Patenonkel, einer japanischen besten Freundin und in einer internationalen Schule aufgewachsen bin, war mein Umfeld extrem offen. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass ich ein bestimmtes Vorbild hatte. Ich weiss jedoch, dass ich mich nie als etwas anderes gesehen habe, nur weil ich ein Mädchen war. Das verdanke ich meiner Familie, die nie einen Unterschied zwischen meinem Bruder und mir machte, wenn es um Interessen oder Herausforderungen ging, die wir verfolgen wollten. Ich wünsche mir, dass alle jungen Menschen ohne Geschlechterstereotypen aufwachsen können. Niemand sollte das Gefühl haben müssen, dass bestimmte Wege eher für Jungen oder eher für Mädchen gedacht sind. Ich habe persönlich erst als junge Studentin der Ingenieurwissenschaften erkannt, dass diese Geschlechterstereotypen existieren.
Gab es Hindernisse in Ihrer Karriere?
Meine Anfänge, sowohl an der Universität als auch in der Industrie, katapultierten mich in eine Welt, die fast ausschliesslich von Männern besiedelt war, was ziemlich verwirrend war. Natürlich musste ich mich anpassen, aber ich habe festgestellt, dass auch mein Umfeld Unterstützung und Begleitung brauchte, um integrativer zu werden. Wie leider immer noch üblich, erhielt ich manchmal unpassende Komplimente. Ich fragte mich sogar, ob meine Einstellung das eigentliche Problem war. Diskussionen über unangemessene Kommentare und auch, dass ich mich auf einige Kollegen als Unterstützer verlassen konnte, waren für mich entscheidend, um diese Anfangszeit zu überstehen. Ich glaube jedoch, dass das technische Umfeld inklusiver und frauenfreundlicher werden wird, wenn mehr Frauen auf allen Hierarchieebenen vertreten sind.
Was bereitet Ihnen bei Ihrer Arbeit am meisten Freude?
Das Lösen von technischen Problemen im Team. Das erfordert ein gutes technisches Verständnis, einen flexiblen Geist und gute Zuhör- und Verständnisfähigkeiten. Ich liebe die kollektive Intelligenz. Zudem mag ich die Präsentation von Projekten. Die Zusammenfassung all der Arbeit, die über Monate oder Jahre hinweg geleistet wurde, ist ein unglaubliches Gefühl. Dies erfordert einen logischen und organisierten Geist, damit jeder auch die Gründe hinter den technischen Entscheidungen verstehen kann.
Welche Herausforderungen unserer Zeit gehen Sie in Ihrem Beruf konkret an?
Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie ist von grösster Bedeutung für das Verständnis unseres Klimas. Sie hilft uns auch dabei, den Klimawandel anzugehen. In meinem konkreten Job bin ich daher froh, dass ich an einer der Missionen von Erdbeobachtungssatelliten mitarbeiten kann, die sich auf die Überwachung des Klimawandels konzentrieren.
Sie sind schwanger. Hat dies Ihre Sicht auf Ihre Karriere verändert?
Ja, meine Schwangerschaft hat mir die Augen geöffnet. Ich habe immer gedacht, Frauen und Männer seien gleich (lacht). Meine Schwangerschaft hat diese Sichtweise verändert, da sie von Natur aus nur den Frauen vorbehalten ist. Als Frau muss man sich dann für eine gewisse Zeit zurückziehen, da die Natur einen kleinen Menschen in einem erschafft. Es war nicht einfach für mich, dies zu akzeptieren. Ich habe erkannt, dass wir nie gleich sein werden, weil wir schon allein physiologisch nicht gleich sind. Und das ist eine ausserordentlich gute Sache! Ich habe erkannt, dass unsere Unterschiede der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit sind, da gemischte Arbeitsteams unterschiedliche Perspektiven und Sensibilitäten mitbringen, die für die zu lösenden Herausforderungen wesentlich sind.
Zur Person
Studium in Maschinenbau und Raumfahrttechnologie an der EPFL. Während des Studiums: Space Summer Camp (Moskau), Praktika bei RUAG Space (Zürich), bei der Weltraumagentur CNES (Paris), im Todai-JAXA Composite Materials Center (Tokio). Bis heute: Tätigkeit bei APCO Technologies.