Wie giftige Ausschläge überzogen Flecken die Landkarten – dunkelgelb und orange. Bis die Krankheit kam. Dann erstrahlten Landstriche rund um Wuhan in China, wo das neuartige Coronavirus zum ersten Mal gesichtet wurde, bald wieder hell und klar. Die Vorher-nachher-Bilder des ESA-Satelliten Sentinel-5P des Copernicus-Programms gingen um die Welt. Sie beeindruckten, weil sich quasi in Echtzeit und mit blossem Auge mitverfolgen liess, wie strenge Lockdowns auf die Umwelt wirken: Bleibt alles geschlossen und liegt der Verkehr lahm, reduzieren sich die Stickoxide in der Atmosphäre. Die Luft wird sauberer.
«Dieser kausale Zusammenhang wurde zum ersten Mal klar und sichtbar dokumentiert», sagt Daniel Fürst, Vice President External Relations bei RUAG Space, dem führenden Anbieter von Produkten für die Raumfahrtindustrie in Europa. «Corona hat bei allem Leid auch etwas Positives: Die Bedeutung der Raumfahrt für unser Leben wurde vielen Menschen klarer.»
Und diese ist enorm: Würde man die Datenströme und Funktionen aus dem All kappen, wäre schnell nichts mehr so, wie wir es kennen: Verkehr und Kommunikation würden zusammenbrechen. Echtzeitinformationen, etwa wie wir sie für Finanzleistungen brauchen, Wetterprognosen und Früherkennungen im Katastrophenmanagement oder für Hilfeleistungen fielen weg. «Wir sind von den Daten abhängig», so Fürst. Ein moderner Staat würde wohl innert 24 Stunden lahmliegen.
Das Auge Europas
«Für mich ist tatsächlich Copernicus ein Sinnbild dafür, welchen Nutzen der Mensch aus der Raumfahrt ziehen kann», so Fürst. Bei Copernicus handelt es sich um eine Initiative der ESA und der EU für ein globales und unabhängiges System zur Überwachung der Umwelt und Sicherheit.
Die Satellitendaten sind interessant für eine schier unendlich lange Liste an Themen wie: Klimawandel, Luftverschmutzung, Städteplanung und -management, Gesundheit, Landmanagement, regionale und lokale Planung, Schnee und Gletscher, nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz, Forst, Fischerei, Landwirtschaft, Naturkatastrophen, Infrastruktur, Sicherheit, Transport und Mobilität, Tourismus und erneuerbare Energien.
Die detaillierten und grossflächigen Einblicke aus dem Weltraum erlauben ein besseres Verständnis des ganzen Planeten. Ausserdem ergeben sich aus den Daten auch interessante Entwicklungsmöglichkeiten für Schweizer Industrieunternehmen, die öffentliche Verwaltung, Forschende, KMU und Start-ups.
Satelliten als Lösungsfinder
Derzeit helfen nun mehr als 30 Satelliten des EU-Raumfahrtprogramms, besonders eben Copernicus und das Satellitennavigationssystem Galileo, die Pandemie zu bekämpfen und ihre Auswirkungen besser zu verstehen.
Dank der Daten konnten Behörden nicht nur die Auswirkungen auf die Umwelt beobachten, sondern auch im Home-Office arbeiten oder Verkehrsunterbrechungen lokalisieren, wo Lastwagen mit Medikamenten feststeckten. Und nachverfolgen, auf welchen Transportern an einer Grenze im Nirgendwo Masken verschollen lagen. Dieses Wissen half bei Verhandlungen mit anderen Ländern und um die Lage einzuschätzen. «Die Probleme dieser Welt werden definitiv mehr und mehr dank Satelliten gelöst», so Fürst.
Die Schweiz im All
RUAG Space hat an Bau und Entwicklung der Copernicus-Satelliten und ihren Trägerraketen massgebend mitgewirkt. Wie auch viele andere Unternehmen aus der Branche von den Aufträgen profitieren. Etwa Almatech mit Sitz in Lausanne. Das KMU mit rund 30 Beschäftigten stellt unter anderem sehr erfolgreich ultrastabile Strukturen für Weltraumteleskope, Wärmeschutz und elektrische Kabelbäume für Satelliten her. «Wir sind äusserst wettbewerbsfähig. In Sachen Qualität ist die Schweizer Raumfahrtindustrie sehr relevant und bekommt ihren Teil vom weltweiten Kuchen ab», weiss Hervé Cottard, General Manager & Co-Founder von Almatech. Als Gründungsmitglied der ESA (European Space Agency) ist die Schweiz sogar eine von Europas Raumfahrtnationen der ersten Stunde. Der Beitrag der Schweizer Raumfahrtindustrie liegt vor allem in der Entwicklung und dem Bau von Subsystemen für den Einsatz im Weltall, mit einem breiten Portfolio von optischen, mechanischen und elektronischen Baugruppen sowie wissenschaftlichen Instrumenten.
Zukunftsträchtiger Sektor
Die hiesige Raumfahrtindustrie beschäftigt derzeit über 1000 hochspezialisierte Mitarbeitende, Raumfahrtunternehmen setzen jedes Jahr über CHF 300 Mio. um. Der Sektor wird als äusserst zukunftsträchtig eingeschätzt: Unternehmensberatungen gehen davon aus, dass sich der globale Raumfahrtmarkt bis 2040 verzehnfachen wird. Kein Wunder, die Daten aus der Raumfahrt sind kostbar: Schätzungen zufolge beträgt etwa der Wert von Wettervorhersagedaten
allein für den Schweizer Transportsektor zwischen CHF 85 Mio. und CHF 100 Mio. jährlich.
Höchste Zeit für Copernicus Cottard von Almatech gibt zu bedenken: «Allerdings müssen auch weiterhin die Rahmenbedingungen stimmen, damit wir weiter mitmischen können.» Damit spielt der Unternehmer auf Veränderungen in der Branche an, denn die EU strebt nach grösserer Souveränität in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung und einer strikteren Technologieautonomie. «Dies hat zur Folge, dass Aufträge für Satelliten und Komponenten fürs Copernicus-Programm ab 2022 bloss noch an Copernicus-Mitglieder vergeben werden.»
Auch Daniel Fürst von RUAG bereitet Sorge, dass die Schweiz das Abkommen noch nicht unterzeichnet hat: «Nur durch die Teilnahme an der EU-Komponente von Copernicus kann sichergestellt werden, dass sich Schweizer Firmen auch weiterhin an Entwicklungund Bau beteiligen können.» Heikel sei zudem, bemerken Fürst und Cottard, dass der schnelle Zugang zu den Rohdaten künftig nur
noch Mitgliedern zugesichert werden könne; vor allem die wichtigen Bereiche Sicherheit und Katastrophen-/Krisenmanagement wären davon betroffen.
Je abhängiger die Gesellschaft von Weltraumdiensten ist, desto wichtiger wird aber der sichere Zugang zu denDaten. «Wir sind immer mehr auf Informationen aus dem Weltall angewiesen. Denn die Erde ist immer besser vernetzt: Berggipfel und Bergtäler, Wüsten, die abgelegensten Regionen werden mit dem Internet verbunden sein. Innovative Bereiche wie Smart Farming werden stark wachsen. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Irgendwann wird es auf der Erde keine Datenkabel mehr geben, der Austausch wird nur noch über Satelliten funktionieren. Und selbstfahrende Autos ohne Satelliten sind undenkbar. In 200 Jahren wird anderes Fahren aber verboten sein.»
Dass die Schweiz etwa aus Kostengründen noch zögert, dem Copernicus-Abkommen beizutreten, ist für Fürst daher unverständlich: «Die Schweiz ist in der Weltraumforschung eine grosse Nummer. Aber wir dürfen uns nicht abhängen lassen.» Neben den anfallenden Beitragskosten tut man sich schwer mit Verhandlungen mit der EU. «Ich hoffe aber sehr, dass wir das Rahmenabkommenund Copernicus getrennt voneinanderbetrachten können», so Fürst.
Die Schweizer Raumfahrtindustrie wäre zumindest gut für weitere Aufträge aufgestellt.
Cottard: «Wir sind ein agiles und flexibles KMU, das jederzeit in der Lage ist, schnell auf
Angebotsanfragen und Vertragsänderungen zu reagieren. Dies wird sehr geschätzt von
grossen Unternehmen, die intern nicht das gleiche Verhalten an den Tag legen können.
Unsere Arbeitsweise ist zudem wertvoll für die Entwicklung von Satelliten und wissenschaftlichen Instrumenten von Satelliten, da jeder Satellit ja ein einzigartiges Kunstwerk ist.»
Mit der schnellen und flexiblen Arbeitsweise entspricht das Unternehmen einem Trend in
der Raumfahrtindustrie, den auch RUAG Space zu spüren bekommt: «Wir mussten umdenken. Von der Idee bis zum Start vergingen früher gern mal fünf bis zehn Jahre. Heute muss das schneller gehen.» Im kommerziellen Bereich, also dort, wo Anwendungen für den Alltag genutzt werden, komme man von den riesigen Satelliten ab. Stattdessen setze man auf Konstellationen mehrerer Satelliten, die schneller und
günstiger gebaut werden könnten. Ausserdem würden auch Bauteile aus dem Non-Space-Bereich verwendet. Die seien zwar nicht so raffiniert, dafür aber günstiger. Die Kombination
aus mehreren Satelliten fange das wieder auf. «Wir produzieren heute um Faktoren günstiger und schneller als früher. Dazu braucht es Automatisierung, neue Produkte, andere Ansprüche an den Satelliten und kleinere Grössen», so Fürst. «Und: Man braucht keinen Elon Musk, um den Markt umzuwälzen. Das können wir genauso!» Wenn man die Schweizer Unternehmen nur lässt.